It’s fascism, stupid! (1) – Rumpelstilzchen

Update vom 23.03.2022 mit Ergänzungen zum besseren Verständnis: Die ganze Passage des Eco-Zitats sowie alle 10 Punkte von Naomi Wolfs „Wie man eine Demokratie zestört“ aufgeführt.

„Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“, lautet der Schlüsselsatz aus dem gleichnamigen Märchen, nach dem der „Rumpelstilzchen-Effekt“ in der Psychologie benannt wurde. Dabei geht es darum, etwas Bedrohliches richtig zu benennen (seinen Namen wissen), damit es seine Macht verliert – so wie bei dem Kobold im Rumpelstilzchen-Märchen.

Anders als im Märchen reicht im wirklichen Leben allein die Benennung des Unheils zwar nicht aus, um es damit aus der Welt zu schaffen, dennoch ist dies eine wichtige Voraussetzung dafür, ein Problem greifbar zu machen und ihm wirksam zu begegnen. Eine Bedrohung solcher Art ist beispielsweise die rapide Zunahme von Denunziantentum, Cancel Culture, Hetz- und Schmähkampagnen, der täglich mehr Menschen zum Opfer fallen. Derartige Machenschaften zielen immer auf die existentielle Vernichtung einer Person oder Gruppe ab, und besonders perfide ist es, wenn sie uns auch noch dreist als „aufrechte Haltung“, „Journalismus“, „Expertise“ oder „Kampf gegen das Böse“ verkauft werden.  

Höchste Zeit also, die die Dinge beim Namen zu nennen, auch wenn es erschütternd banal ist:

It’s fascism, stupid!

Gar ein wenig dick aufgetragen? Mitnichten, leider.

Wem bei dem Begriff „Faschismus“ lediglich Glatzköpfe in Springerstiefeln oder von Fliegenschiss brabbelnde alte Herren in den Sinn kommen, kennt nur einen Teil dessen, was Faschismus tatsächlich ausmacht.

Versuchen wir es zunächst mit Umberto Eco*), der sich viele kluge Gedanken über den Faschismus gemacht und schließlich vierzehn Merkmale extrahiert hat [1]. Allerdings beziehen sich diese auf den „Ur-Faschismus“ und sind für moderne Erscheinungsformen nur bedingt brauchbar.

Eco erkannte allerdings auch, dass Faschismus in vielen Spielarten auftritt:

“But the fascist game can be played in many forms, and the name of the game does not change.
[…]
Fascism became an all-purpose term because one can eliminate from a fascist regime one or more features, and it will still be recognizable as fascist. Take away imperialism from fascism and you still have Franco and Salazar. Take away colonialism and you still have the Balkan
fascism of the Ustashes. Add to the Italian fascism a radical anti-capitalism (which never much fascinated Mussolini) and you have Ezra Pound. Add a cult of Celtic mythology and the Grail mysticism (completely alien to official fascism) and you have one of the most
respected fascist gurus, Julius Evola.”
[1]

Diese Wandlungsfähigkeit des Faschismus macht es manchmal schwierig, ihn zu fassen, zumal er sich auf vielerlei Weise stetig weiterentwickelt und keineswegs nur für die extreme Rechte charakteristisch ist. Es ist anzunehmen, dass im Zuge des erstarkenden, globalen Marktradikalismus viele gesellschaftliche Gruppen schon seit langem unterwandert und entsprechend indoktriniert werden [siehe 2, Kap. 6], was die geradezu epidemische Ausbreitung faschistoiden Denkens und Handelns auch in solchen Kreisen erklärt, die gemeinhin als links oder linksliberal bezeichnet werden.

So erschließt sich, warum viele, die früher vielleicht in der Friedens- und Umweltpolitik engagiert waren, sich in heutigen linken Gruppierungen nicht mehr wiederfinden .

Ein Ansatz, der uns in dieser Sache möglicherweise weiterbringt, sind die Erkenntnisse der amerikanischen Feministin Naomi Wolf**), die sie in ihrem Buch „Wie zerstört man eine Demokratie – Das 10-Punkte-Programm“ [2] darlegt. Sie schreibt:

„Faschismus hat nicht immer ein spektakuläres, offen grausames Gesicht. […] Manchmal ist er zunächst nur daran zu erkennen, dass wir beginnen, unsere Worte abzuwägen.“

2007 wurde eine (mit dem Buch nicht identische) Kurzfassung unter dem Titel „Fascist America, in 10 easy steps“ als Essay im „The Guardian“ veröffentlicht, der heute noch online abrufbar ist [3].

Naomi Wolfs Zehn-Punkte-Programm umfasst [siehe 2, 3] ***):

  1. Heraufbeschwören einer äußeren und inneren Bedrohung
  2. Betrieb von Geheimgefängnissen
  3. Aufbau einer paramilitärischen Truppe
  4. Aufbau eines Überwachungsapparats und Beobachtung normaler Bürger
  5. Infiltration von Bürgerbewegungen
  6. Willkürliche Festnahmen und Entlassungen
  7. Gezielte Angriffe auf Schlüsselpersonen
  8. Kontrolle der Medien
  9. Kritik gilt als „Spionage“ und Widerspruch als „(Landes-)Verrat“
10. Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit

Wolf begreift Faschismus nicht als eigenständige Ideologie, sondern vielmehr als Methode zur Errichtung totalitärer Herrschaft, die sich dazu bestimmter Mechanismen bedient.

Ihr Buch entstand unter dem Eindruck der Politik der Bush-Regierung in Folge der Anschläge auf das World Trade Center, und sie untermauert ihre Erkenntnisse mit unzähligen Beispielen aus diktatorischen und totalitären Systemen der neueren Geschichte. Später stellte sie bedauernd fest, dass sich auch unter Obama in dieser Hinsicht nichts geändert  hat, sondern die Faschisierung der USA kontinuierlich fortschreitet. Diese zunächst schleichende Entwicklung ist nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und Deutschland seit vielen Jahren zu beobachten und sie nimmt im Zuge des derzeitigen Pandemiegeschehens richtig Fahrt auf.

Dass Verleumdung, Denunziation und Herabwürdigung von Menschen und Gruppen ein wichtiger Bestandteil totalitärer Systeme ist, wurde in zahlreichen Studien eindeutig nachgewiesen (am bekanntesten sind das Milgram- und das Stanford-Prison-Experiment).

Erkennen wir die beliebigen Diffamierungen und Schmähungen von Menschen als Antisemiten, Ultrarechte, Verschwörungstheoretiker oder Spinner als das, was sie tatsächlich sind: Kennzeichen dafür, wie sehr die Faschisierung unserer Gesellschaft vorangetrieben wird. Derartige Fälle sind mittlerweile so zahlreich, dass es unmöglich ist, sie hier alle aufzuzählen. Deshalb nur einige Beispiele aus unserer Region:

  • Ein Anwalt, der aufgrund seiner Teilnahme an einer Demo fälschlich und infam der Unterstützung von Rechten und Antisemiten bezichtigt wird, woraufhin ein Regensburger Blogbetreiber die jahrelange Zusammenarbeit mit ihm beendet.
  • Der Regensburger AStA/SprecherInnenrat, der zur anonymen Denunziation von vermeintlichen „Verstößen gegen die Neutralität der Lehre“ aufruft.
  • Die Regensburger Studentin, die diesem Diffamierungsaufruf bereitwillig folgte sowie der DLF-Journalist Michael Watzkeder, der den falsch angeschuldigten Professor der Uni Regensburg gleichsam falsch und diffamierend als Corona-Leugner darstellt.
  • Die beliebte und gut besuchte Veranstaltungsreihe eines renommierten Dozenten an der örtlichen VHS, die aufgrund dubioser Anschuldigungen nach über zwanzig Jahren aus dem Programm gestrichen wird.
  • All jene besorgten Bürger*innen, die ihre Mitmenschen wegen Lächerlichkeiten zuhauf bei Behörden anschwärzen.
  • Die lokale Antifa-Gruppe, die über eine anonyme Webseite zahlreiche Falschbehauptungen, Schmähungen und üble Nachreden verbreitet.
  • U. v. m.

All dies geschieht weder irrtümlich, noch ungewollt.

It’s not a bug, it’s a feature

*)     Umberto Eco, Professor für Semiotik, Philosoph, Schriftsteller und einiges mehr. Unter anderem hat er sich in seinen Romanen, aber auch in anderen Schriften und Reden immer wieder mit Formen des Faschismus, insbesondere dem italienischen unter Mussolini, befasst. Eco starb 2016.

**)    Naomi Wolf, Tochter jüdischer Holocaust-Überlebender, ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und veröffentlichte als Journalistin und Schriftstellerin zahlreiche Artikel und Bücher zu feministischen und anderen aktuellen politischen Themen. Sie war Beraterin in den Wahlkampfteams von Bill Clinton und Al Gore. Später arbeitete sie in der George-Soros-Foundation für Friedensforschung und führt heute ein Unternehmen namens DailyClout.

***) Übersetzung der aufgeführten Schlüsselbegriffe ins Deutsche an dieser Stelle von A. J.

Quellen:

[1]   „Ur-Fascism“ von Umberto Eco, Essay, veröffentlicht 22. Juni 1995 in der New York Review of Books.

[2]   „The End of America – Letter of Warning to a Young Patriot“ von Naomi Wolf, Chelsea Green Publishing, 2007 (deutscher Titel: „Wie zerstört man eine Demokratie – Das 10-Punkte-Programm“, Goldmann Verlag, 2010)

[3]   „Fascist America, in 10 easy steps“ von Naomi Wolf, Essay, veröffentlicht 24. April 2007 in The Guardian, abrufbar unter https://www.theguardian.com/world/2007/apr/24/usa.comment

Externe Bildrechte:
Titelbild: Rumpelstiltskin, aus Project Gutenberg, Autor: Walter Crane, weitere Details: commons.wikimedia.org

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hans Ritter

    Liebe Anna, das sind sehr interessante Überlegungen, über die man sich durchaus einmal Gedanken machen sollte.

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